Insektenproteine im Tierfutter

Für oder wider Tierwohl bei Insekten - Deutscher Tierschutzbund

Veröffentlicht am: 
22
October
2022
Aus Ausgabe: 
2022 Mühle + Mischfutter Ausgabe 3-4
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Für oder wider Tierwohl bei Insekten - Deutscher Tierschutzbund
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Industrielle Großanlagen für die Gewinnung von Proteinen aus Larven der Schwarzen Soldatenfliege sind im Trend. Sie sollen nachhaltig sein und zur Lösung der künftigen Ernährung beitragen. Ist Tierfutter aus Larven unbedenklich für Umwelt, Tier und Verbraucher? Dazu äußert sich Nina Brakebusch vom Deutschen Tierschutzbund.

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Nina Brackebusch
Nina Brakebusch ist Fachreferentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund

M+M: Aktuell gehen erste Firmen an den Start, die Proteine aus Insektenlarven gewinnen. Diese können Tierfutter beigemischt werden. Um die Massen an Larven zu trocknen und zu vermahlen, müssen sie zuvor abgetötet werden. Wie bewerten Sie das Abtöten von Larven mit kochendem Wasser oder durch Schockgefrieren? Fällt dies unter den Tierschutz? 

Nina Brakebusch: Der Grundgedanke des Tierschutzgesetzes ist der Schutz aller (!) Tiere. Überall, wo im Tierschutzgesetz das Wort "Tier" verwendet wird, gelten die Vorschriften also auch für Insekten. Allerdings gibt es einige Gebots- und Verbotsnormen nur für Wirbeltiere, und wegen der Schwierigkeit, Schmerzen und Leiden bei wirbellosen Tieren festzustellen, wird hier allgemein oft eine größere Toleranzschwelle angesetzt als bei anderen Tieren. Studien belegen aber, dass Insekten sensible Lebewesen sind, die sogar chronische Schmerzen empfinden können. Nachzulesen beispielsweise in ScienceAdvances, Vol.5, No.7 “Nerve injury drives a heightened state of vigilance and neuropathic sensitization in Drosophila”. Aus Tierschutzsicht bräuchte es deshalb einen nach dem Tierschutzgesetz ausgelegten, besonderen Schutz, der sie vor Willkür und unnötigen, schmerzhaften Handlungen bewahrt. Denn die industrielle Haltung lässt sich kaum ohne Verletzungen der einzelnen Tiere durchführen: Beim Umlagern und Aussieben sind Verletzungen, Quetschungen und Amputationen durch die schiere Anzahl der Tiere nicht vermeidbar. Und insbesondere bei den aktuell praktizierten Betäubungs- und Tötungsmethoden wie Kochen oder Schockgefrieren gibt es derzeit keine standardisierten Verfahren, die eine schnelle, schmerzlose Betäubung und Tötung sicherstellen. Vor allem wenn viele Tiere übereinanderliegen oder sie zu kurz oder zu geringer Kälte ausgesetzt werden, reicht die Betäubung durch Kältestarre vermutlich nicht aus, so dass die Tiere dann lebendig und äußerst schmerzhaft gekocht werden. Direktes Kochen ohne vorherige Betäubung ist aus diesem Grund ebenfalls abzulehnen.

M+M: Wie wird sich der Deutsche Tierschutzbund zu dem Thema verhalten? Planen Sie Maßnahmen?

Nina Brakebusch: Der Tierschutzbund hat bisher Stellungnahmen beim BMEL und bei der EU-Kommission eingereicht, zudem stehen wir im engen Kontakt mit der Eurogroup for Animals, die das Thema vor allem auf EU-Ebene voranbringen möchte. An dem Positionspapier der Eurogroup haben wir ebenfalls mitgearbeitet. Wir planen, in diesem Jahr noch stärker öffentlich auf die Thematik aufmerksam zu machen.

M+M: Wie bewerten Sie die derzeitige Rechtslage in Deutschland und der EU? Sind Ihnen Risiken bekannt, wenn Tiere mit Insektenlarven gefüttert werden?

Insektenlarven
Insektenlarven werden in einer Anlage zur Proteingewinnung gemästet (Foto: Sabine Kemper)

Nina Brakebusch: Aus Tierschutzsicht ist die Rechtslage mehr als unzureichend. Es gibt keinerlei spezielle Bestimmungen zur Haltung und Zucht von Insekten – während immer neue Anträge zur Zulassung weiterer Insektenarten als sogenannte Novel Foods bei der EU-Kommission gestellt und zugelassen werden. Dies ist indes mit Tierversuchen verbunden: In Fütterungsstudien wird Mäusen und Ratten unter Zwang ein Insektenbrei durch eine Schlundsonde eingeflößt, was ein hohes Verletzungsrisiko im Bereich des Magens und der Speiseröhre birgt. Am Ende der Studie werden die Tiere getötet, um ihre Organe auf Schädigungen zu untersuchen. Das ist ethisch höchst fragwürdig und schafft letztlich auch nicht die erhoffte Sicherheit. Man weiß dadurch lediglich, wie Nagetiere auf diese Lebensmittel reagieren. Es ist wenig aussagekräftig für die Sicherheit von Menschen, wenn eine Ratte unbeschadet eine Insektenlarve frisst, die ohnehin zu ihrem natürlichen Nahrungsspektrum gehört. Weder zeigen sie, dass der menschliche Körper genauso damit umgeht, noch belegen sie umgekehrt, dass Bestandteile, auf die diese Tiere nicht reagieren, auch für den Menschen unbedenklich sind. Es ist äußerst fraglich,

(Mehr zu unserer Position zu Tierversuchen und Hintergrundinformationen auf unserer Homepage www.tierschutzbund.de) Außerdem bestehen gesundheitliche Risiken vor allem bei der Fütterung lebender Insekten, da sie diverse Krankheitserreger übertragen können. Eine Studie an 300 Insektenfarmen in Europa fand 2019 in Proben von 106 Farmen gefährliche Erreger. Zudem können Insekten mit Schwermetallen belastet sein. (Remigiusz Galecki/Rajmund Sokol: A parasitological evaluation of edible insects and their role in the transmission of parasitic diseases to humans and animals).

M+M: Bisher war in der EU-Futter aus Insekten nur für Fische und Haustiere erlaubt - Hersteller wünschen weitere Freigaben. Wie bewerten Sie die Freigabe für weitere Tierarten aus Sicht des Tierschutzes?

Nina Brakebusch: Die EU-Kommission hat die Verwendung von verarbeitetem Insektenprotein in Futtermitteln für Hühner und Schweine im August 2021 autorisiert. Noch immer gibt es einen erheblichen Mangel an Forschung und Wissen über Insekten und die Anforderungen, die bei ihrer industriellen Aufzucht erfüllt werden müssen. Vorschnelle Genehmigungsentscheidungen, die ohne den nötigen regulatorischen Unterbau getroffen werden, können später dramatische Folgen für Umwelt und Klima, aber auch die Gesundheit und das Wohl von Menschen und Tieren nach sich ziehen.

M+M: Wie stehen Sie zu dem Argument, dass Futter aus Insektenproteinen nachhaltiger und klimafreundlicher sei als beispielsweise Soja und deshalb Tierwohl gegen Umweltschutz abzuwägen sei? 

Nina Brakebusch: Es bleibt zu befürchten, dass der industriellen Tierhaltung durch die Fütterung mit Insekten, statt Fischmehl und Soja, ein klimafreundlicheres Image verliehen werden soll. Echter Klima- bzw. Umweltschutz geht für uns aber nur Hand in Hand mit Tierschutz. Ganz abgesehen davon, dass die Tierbestände ohnehin zu reduzieren sind, ist die Nachhaltigkeit der industriellen Insektenproduktion auch noch mehr als fraglich. Vor allem fallen da die Futtermittel viel mehr ins Gewicht als häufig vermittelt wird. Denn um wirtschaftlich effizient zu wachsen und als späteres Futter- oder Lebensmittel optimale Nährwerte aufzuweisen, benötigen Insekten eine auf ihre Art und das Lebensstadium abgestimmte Diät. So wird derzeit überwiegend hochwertiges, kommerzielles Tierfutter (wie Soja, Mais und anderes Getreide) verfüttert. Hinzu kommen hohe Heiz- und Energiekosten zur Aufzucht der wechselwarmen Tiere und der nachfolgenden Produktionsschritte (gefrieren, kochen, trocknen und vermehlen). Insekten schneiden bei der Energiebilanz deshalb im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen sehr viel schlechter ab. Zudem besteht die Gefahr, dass Insekten aus Produktionsstätten entkommen und durch ihre schiere Masse oder als „invasive Arten“ die europäischen Ökosysteme und die landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion gefährden.

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